BürgerInnen gegen den Krieg
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Diskussion mit Rainer Schulze und Wolfgang Ecker über "Venezuela heute"

 
     
 

Am Donnerstag, dem 9. August 2007, fand in der Osteria "La Fontana" in Grafing ein Informationsabend zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Venezuela unter der Regierung von President Hugo Chavez statt. Die Referenten Rainer Schulze und Wolfgang Ecker haben Venezuela mehrfach bereist und sind hervorragende Kenner dieses Landes, aber auch der benachbarten mittel- und lateinamerikanischen Staaten.

Als eine Art Scheidewasser erscheint der Präsident Venezuelas Hugo Chavez. Seine Politik fördert die Gruppen und Schichten, die bisher von der Oligarchie vernachlässigt wurde und knüpft Verbindungen zu Ländern in Südamerika, die sich ebenfalls mehr Spielraum gegenüber dem schier übermächtigen Nordamerika verschaffen wollen. Vor und nach der Wahl von Chavez hielten sich Reiner Schulze und Wolfgang Ecker mehrfach für längere Zeit in Venezuela auf und studierten dort die Lebensverhältnisse. Sie gaben bei den BürgerInnen gegen den Krieg einen kurzen Abriss der politischen Geschichte Venezuelas seit Simon Bolivar, dem Idol von Chavez.

In einem Unabhängigkeitskrieg zwischen 1810 und 1821 entstand gegen die Besatzungsmacht Spanien die Republik Groß-Kolumbien, Venezuela war ein Teil davon. Doch eine Einheit Lateinamerikas konnte Bolivar nicht erreichen. Immer wieder gab es Aufstände gegen die Caudillos, die mit ihren Söldnereinheiten Ländereien beherrschten. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es dem Diktator und General Gomez einen Staat unter seiner Zentralgewalt zu erkämpfen. Unter seiner Herrschaft wurden die Erdölvorkommen entdeckt und kommerziell ausgebeutet. Ab 1935 wechselten die diktatorischen Regimes in kurzer Folge, bis 1958 ein Volksaufstand eine sozialdemokratische mit einer kommunistischen Partei an die Regierung brachte, wenn auch nur kurz, denn die sozialdemokratische Partei AD wandte sich der konservativen COPEI zu.

In den 1970er Jahren bescherte der Anstieg des Ölpreises - wie heute auch - dem Land hohe Einnahmen. Ab 1976 flossen die Einnahmen dem Staat verstärkt zu, weil der Präsident Perez, ein Sozialdemokrat, die Ölindustrie verstaatlichte, nachdem starker Druck aus der Bevölkerung erfolgte. AD und COPEI organisierten ein besonderes Modell der sozialen Vergünstigungen. Diese flossen nur an Mitglieder der beiden Parteien.

Während des Ölbooms wurden andere Wirtschaftszweige schwächer. Zudem konnten viele Waren importiert werden, sogar landwirtschaftliche Produkte. Das rächte sich in den 1980er Jahren, als die Öleinnahmen zusammenbrachen und damit zeigten, dass große Teile der Bevölkerung an den Öleinnahmen kaum Anteil bekommen hatten. Als 1989 Perez nochmals zum Präsidenten gewählt wurde, hatte Venezuela hohe Schulden und unterzog sich den neoliberalen Programmen des Internationalen Währungsfonds.

Dieses Strukturanpassungsprogramm führte zu weiterer Verarmung breiter Volksschichten durch Preiserhöhungen in öffentlichen Einrichtungen und zu Verkäufen staatlicher Industrie an private Investoren. Die Bekämpfung der Aufstände gegen die Programme desavouierte die Koalition von AD und COPEI wegen der einigen hundert Toten. Die Gegner der Koalition organisierten sich nicht mehr in Guerilla-Gruppen, sondern in neuen Formen der Nachbarschaftshilfen, Kulturzentren und alternativen Medien. Das Militär entwickelte sich auseinander, so dass es 1992 zu einem Putsch gegen Perez kam, der aber nicht erfolgreich blieb. Anführer dieses Putsches war Chavez.

Perez musste wegen seiner Korruption 1993 zurücktreten, sein Nachfolger führte die Privatisierung staatlicher Industrie fort. Ein Mehr-Parteien-Bündnis gewann 1998 mit dem Spitzenkandidaten Chavez die Präsidentschaftswahlen und legte 1999 eine neue Verfassung vor, das der Bevölkerung erhebliche Beteiligungsmöglichkeit an der Politik verschaffte. Diese Verfassung wurde in einer Volksabstimmung angenommen.
Sie verbietet die Privatisierung von Bodenschätzen und strebt an, Großgrundbesitz abzuschaffen.

2002 gab es einen Putschversuch aus den konservativen Kräften des Militärs, der aber nach zwei Tagen scheiterte, ein Versuch über die Ölindustrie die Regierung Chavez zu stürzen, dauerte immerhin drei Monate. 2004 versuchte die Opposition, Chavez vorzeitig aus dem Amt mit einer Volksabstimmung wählen zu lassen. Allerdings stärkte dieses Referendum Chavez mit 59Prozent.

(Am Tag der Veranstaltung war über die Verfassungsänderung, die unter anderem eine weitere Amtszeit von Chavez ermöglicht hätte, noch nicht entschieden. Diese Verfassungsänderung ist mit 49% knapp abgelehnt worden).

Nach den bildunterstützten Vorträgen entwickelte sich eine sehr angeregte Diskussion, deren Rückgrat einige Besucher aus Venezuela waren. Sie kamen zwar alle aus einer gut gestellten Bildungsschicht, doch äußerten sie sich konträr. Während die einen Einschränkungen empfinden, betonten die anderen die deutlich besseren Möglichkeiten der bislang wenig bis gar nicht beteiligten Schichten. Die übrigen Zuhörer und die beiden Referenten versuchten teilweise zu vermitteln, betonten meist aber positive Effekte für die weniger begüterten Schichten. Diese lebendige Art der Diskussion kam insgesamt sehr gut an, gerade weil die dortigen Konflikte hier in Deutschland natürlich nicht so plastisch klar werden.



 
 
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