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Vierter Bericht aus Jayyous: Abu Azzam (11.2.2009)

 
     
 

Abu Azzam ist nicht berühmt. Er hat ein Leben geführt wie viele Menschen hier in Jayyous, die an ihrem Land hängen, das ihnen von ihren Vorfahren übergeben wurde, von dem sie leben wollen, zu dem ihnen jedoch der Zugang erschwert oder verwehrt wird. Er wird von seinen Mitbürgern respektiert, weil er sich aktiv für die Beendigung der Okkupation und gegen das Unrecht der Sperranlage einsetzt. Er hat mehrfach im Ausland über das Leben in den besetzten Gebieten berichtet. Im Jahr 2007 wurde er eingeladen, um auf einer Tagung in Spanien über die Situation in Palästina zu berichten. Ich habe von ihm sein Manuskript bekommen und die entscheidenden Passagen zusammengefasst und überarbeitet, um der Vortragsform gerecht zu werden.

"Ich danke Ihnen für die Einladung. Ich hoffe, Sie werden nicht von mir enttäuscht sein. Ich bin nur ein einfacher Bauer aus Jayyous. Aber ich bringe viele Erfahrungen mit: Die Erfahrungen, die mir meine Vorfahren mitgegeben haben - die Liebe zu meinen Mitbürgern, zu meinem Ort und zu meinem Land. Und die Erfahrungen, die ich im Laufe meines Lebens selber gemacht habe. Von den Erfahrungen, die ich selber gemacht habe, will ich Ihnen berichten.
Jayyous ist ein Dorf hinter der Sperranlage. Wie die Sperranlage aussieht, muss ich Ihnen nicht beschreiben, sie kennen sie von vielen Fotos. Wie sie aussieht, ist jetzt auch nicht wichtig. Wichtig ist, was sie uns antut. Im Gemeindegebiet von Jayyous ist sie 15 km lang. Damit sie gebaut werden konnte, wurden 650 dunums Land unserer Bauern zerstört. 1 dunum sind 1000m². Und es wurden 4000 Olivenbäume entwurzelt. Entwurzelt sind auch wir: Drei Viertel des Landes unserer Bauern liegt auf der anderen Seite der Sperranlage. Wir dürfen nur dann auf unser Land, wenn wir einen Passierschein, "permit" genannt, haben. Kein Problem, meinen Sie? In Jayyous haben nur 4 von 10 Bauern, die einen Passierschein beantragt haben, einen bekommen. Wenn ein Familienmitglied einmal aus "Sicherheitsgründen" eingesperrt wurde, gibt es für niemanden aus der Familie einen Passierschein. Und aus "Sicherheitsgründen" wird man schnell mal eingesperrt . Ich habe gelesen, dass im besetzten Gebiet in den letzten vierzig Jahren 40 % der palästinensischen Männer auf Grund des Kriegsrechts schon einmal verhaftet wurden. Außerdem bekommt man nur dann einen Passierschein, wenn man nachweisen kann, dass man auf der anderen Seite Land besitzt. Und das wird von den Behörden oft bestritten. Auf dem "permit" wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Dokument keine Bestätigung des Landeigentums darstellt.
Die Leute, die auf der anderen Seite kein Land besitzen, bekommen keinen Passierschein. Sie finden daher nur schwer Arbeit, und uns Bauern fehlen die Arbeitskräfte, vor allem in der Erntezeit. Dazu kommt noch, dass die Öffnungszeiten der "gates" für die Erntezeit viel zu kurz sind.
Ich will nur noch eine weitere Einschränkung nennen: Früher sind die Obsthändler direkt zu uns gekommen, um unsere Früchte zu kaufen. Das ist jetzt unmöglich, denn sie bekommen keine Erlaubnis, durch die "gates" zu uns zu kommen. Wie sollen wir unsere Produkte verkaufen? Früher konnten wir unsere Früchte auch selber nach Nablus bringen. Wenn wir das heutzutage wollen, müssen wir unsere Lastwagen an den Kontrollpunkten wieder ausladen, damit die Soldaten alles untersuchen können, dann wieder einladen und dann dürfen wir weiterfahren. Insgesamt kann das vier oder fünf Stunden dauern. Wie sollen wir da rechtzeitig auf dem Markt in Nablus sein?

Und noch etwas: Es geht um unser Wasser. Sie meinen vielleicht, der Bau der Sperranlage hat nichts mit Wasser zu tun. Wir haben durch sie alle unserer Quellen verloren. Eigene Brunnen zu bohren, ist uns untersagt. Wir brauchen aber viel Wasser, um unsere Oliven- und Orangenhaine zu bewässern. Wir müssen jetzt für viel Geld Wasser kaufen, zum Teil aus unseren eigenen Quellen jenseits der Sperranlange.

Nun werden Sie sagen: "Aber es ist doch verständlich, dass die israelische Regierung ihre Bevölkerung schützen will und deshalb die Anlage errichtet hat." Ja, die israelische Regierung behauptet, die Sperranlage sei aus Sicherheitsgründen errichtet worden. Jetzt erzähle ich Ihnen, was ich erlebt habe. Wir haben damals in meiner Gemeinde demonstriert, um zu verhindern, dass für den Bau der Sperr-anlage Olivenbäume abgeholzt werden. Israelische Soldaten kamen, um uns Demonstranten aus dem Weg zu räumen, denn auf der Straße zu sitzen, sei Gewaltanwendung. Ich fragte den Anführer der Soldaten: "Wenn Auf-der-Straße-Sitzen Gewalt ist, wie würden Sie denn das Abholzen der Olivenbäume nennen?" Er antwortete, dass die Bäume abgeholzt werden, weil man den Beschlüssen der Regierung folge. Da fragte ich ihn: "Und warum wollen Sie die Sperranlage so nahe an unseren Häusern bauen?" Er antwortete: "Um Zusammenstöße zwischen Israelis und Palästinensern zu verhindern." "Aber von hier bis zur Grenze mit Israel, der `green line` also, sind es sechseinhalb Kilometer, von hier zum nächsten Haus aber nur 28 Meter. Außerdem gibt es doch an der `green line` schon einen Zaun, der so dicht ist, dass weder eine Katze noch ein Hund durchkönnen. Sind Sie denn der Meinung, das sechseinhalb Kilometer nicht genug sind, um Zusammenstöße zu verhindern?" fragte ich. Wissen Sie, was die Antwort war? Mehrere Tränengasgranaten.

Wir in Jayyous haben uns viele Gedanken gemacht und uns informiert. Nach allem, was wir erleben mussten, haben wir unsere eigene Meinung über die Gründe für den Bau der Sperranlage. Aber unsere Meinung ist jetzt nicht so wichtig. Wichtig sind die Tatsachen: Durch den Bau der Sperranlage wird palästinensisches Land enteignet, das sind drei Viertel des Landes der Bauern in Jayyous. Uns sind alle Quellen weggenommen worden. Wir müssen jetzt das Wasser aus diesen Quellen, aus unseren Quellen, teuer bezahlen. Wir können uns nicht mehr frei bewegen und unser Obst nicht mehr zu den Märkten bringen. Unsere jungen Leute haben so gut wie keine Aussichten auf einen guten Beruf. Ja, sollen wir denn alle unser Land verlassen? Genau das der Grund für den Bau der Sperranlage. Ich danke Ihnen, dass Sie mir so geduldig zugehört haben."

Es war Abu Azzam nicht möglich, den Vortrag in Spanien zu halten. Er konnte an der Konferenz, zu der er eingeladen war, nicht teilnehmen. Denn sein Antrag auf Verlängerung der Genehmigung ("permit"), sein Land jenseits der Sperranlage zu bearbeiten, war abgelehnt worden, der Termin für die Anhörung über seinen Einspruch fiel auf den Tag der Konferenz und die zuständige Behörde weigerte sich, den Anhörungstermin zu verschieben.

I work for the Evangelische Missonswerk in Südwestdeutschland (EMS) as an Ecumenical Accompanier serving on the World Council of Churches` Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI). The views contained in this email are personal and do not necessarily reflect those of the Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland and the WCC. If you would like to publish the information contained here, or place it on a website, please first contact the Liaison Officer for the Middle East, Pastor Andreas Maurer, at the EMS, (Maurer@ems-online.org) or the EAPPI Communications& Advocacy Officer (eappi-co@jrol.com) for permission. Thank you.

Götz Schindler, Ecumenical Accompanier in Jayyous im Rahmen des EAPPI



 
 
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