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5. Bericht von Götz Schindler aus Israel

 
     
 

Bericht 5 aus Jayyous (18. Februar 2009)

Izbat at Tabib - ein Ort, dem die Zerstörung droht

Izbat at Tabib ist ein Ort mit rd. 250 Einwohnern in der Nähe von Azzoun, drei km südlich von Jayyous und liegt in der Zone C, die unter militärischer israelischer Verwaltung steht. Wir haben mit einem Einwohner und dem Bürgermeister über die Lage der Menschen im Ort gesprochen.
Fast alle Einwohner sind Flüchtlinge, die entweder aus Flüchtlingslagern oder - die Mehrzahl - aus Orten jenseits der Sperranlage nach Izbat at Tabib gekommen sind, weil sie wegen der vielen Einschränkungen nicht zwischen Sperranlage und green line leben wollten. Viele Familien des Ortes haben dadurch ihr Land verloren. Nur einige Bauern dieser letzten Gruppe haben eine Genehmigung ("permit") erhalten, das Land zu bestellen. Allerdings hat das "permit" nicht für den nächstgelegenen, sondern für einen weit entfernten, Übergang Gültigkeit, so dass das Land nicht mit vertretbarem Zeitaufwand erreicht werden kann und seine Bearbeitung oft unmöglich ist. Die wirtschaftliche Lage der meisten Menschen in Izbat at Tabib ist daher nach Aussage des Bürgermeisters schlecht: Nur wenige haben Land diesseits der Sperranlange, von dem sie leben können, oder haben die Möglichkeit, in Israel zu arbeiten.
Die größte Bedrohung sind jedoch die Abbruchverfügungen. In Izbat at Tabib haben 21 der 45 Hauseigentümer eine Abbruchverfügung erhalten. In der Regel durchläuft das Verfahren vier Schritte: 1. Verbot, das Haus zu erweitern oder aufzustocken. 2. Abbruchverfügung. 3. Vom Zeitpunkt der Abbruchverfügung an kann das Haus jederzeit abgerissen werden. 4. Entscheidung über den Termin des Abbruchs des Hauses durch die israelische Verwaltung sowie Zerstörung des Hauses. Die Verfügung, das gebaute Objekt zu zerstören, behält allerdings 30 Jahre lang seine Gültigkeit, d.h. die Besitzer eines vom Abbruch bedrohten Hauses leben möglicherweise 30 Jahre lang unter dieser Bedrohung.
Selbst das Dorfgemeinschaftshaus mit Schule, Büro des Bürgermeisters, Räumen für den geplanten Kindergarten und Sanitätsraum in Izbat at Tabib ist vom Abbruch bedroht. Es wurde unter anderem mit finanziellen Mitteln der Palästinensischen Autonomiebehörde und durch Eigenleistungen der Einwohner gebaut. Die Nachdem die Abbruchverfügungen für die Wohnhäuser und das Dorfgemeinschaftshaus ergangen waren, haben sowohl die Gemeinde als auch alle betroffenen Einwohner vor Gericht erfolglos versucht, eine Rücknahme der Abbruchverfügung zu erreichen.
Das Verbot, auf dem eigenen Grundstück zu bauen, bezieht sich im Übrigen nicht nur auf den Hausbau. Bereits die Errichtung einer niedrigen Begrenzungsmauer wird in der Zone C von der israelischen Verwaltung als illegal betrachtet.
Die Menschen, deren Häuser von den Behörden abgebrochen werden, wissen nicht, wo sie bleiben sollen, sie erhalten keine staatliche Hilfe. Das Ziel der Maßnahme ist es, sie zum Verlassen des Ortes zu veranlassen. Einer der Einwohner sagte uns, er würde auf alle Fälle versuchen, zunächst in einem Zelt zu leben, er wolle auf jeden Fall seinen Ort nicht verlassen. Da er weder Land besitze, auf dem er ein neues Haus bauen könne (sein Landbesitz liegt auf der anderen Seite der Sperranlage), noch Geld für einen Neubau, habe er ohnehin keine andere Wahl.
Die vier oben genannten Schritte des Verfahrens scheinen aber nur ein Teil von mehreren Maßnahmen zu sein, die das Ziel haben, den Ort insgesamt von der Landkarte zu tilgen. Dabei geht die israelische Verwaltung verschiedene Wege.
Einwohnerstatistik: Neu geborene Kinder von Eltern, die in Izbat at Tabib leben, werden vom Einwohnermeldeamt der israelischen Behörden nicht als Einwohner von Izbat at Tabib, sondern als Einwohner der benachbarten größeren Gemeinde Azzoun eingetragen. Das bedeutet, dass laut Einwohnerstatistik die Bevölkerung von Izbat at Tabib im Laufe der Jahre abnimmt: Neugeborene werden nicht mehr in Izbat at Tabib gemeldet und tauchen folglich in der Einwohnerstatistik der Gemeinde nicht mehr auf, und Verstorbene werden aus ihr gelöscht. Irgendwann werden in Izbat at Tabib laut Einwohnerstatistik keine Menschen mehr leben. Die Einwohner befürchten, dass das zum Anlass genommen wird, den Ort tatsächlich zu räumen. Uns wurde gesagt, selbst wenn palästinensische Behörden für das Meldewesen und die Einwohnerstatistik zuständig wären, würde das nichts ändern, da die computerisierten Melde- und Einwohnerlisten mit den Computern der israelischen Behörden verbunden seien und folglich kontrolliert würden.
Straßenbau: Im vergangenen Jahr wurde den Einwohnern mitgeteilt, dass der Bau einer Straße geplant sei, um die Bewohner der jüdischen Siedlung Alfe Menashe an die Straße Nr. 55 anzubinden. Die Trasse der geplanten Straße werde durch das Izbat at Tabib verlaufen. Die Einwohner müssten daher in einiger Zeit den Ort verlassen. Sie sollten sich in Azzoun niederlassen. Eine Unterkunft oder Hilfe bei der Suche nach einer Unterkunft wurde allerdings nicht angeboten. Auf unsere Frage, ob es dagegen keine erfolgversprechenden Rechtsmittel gebe, wurde uns geantwortet: Man habe es ja versucht, aber man befinde sich in der Zone C, in der die israelischen Behörden frei entscheiden könnten. Die Möglichkeit, das Oberste Gericht Israels anzurufen, sei nicht sinnvoll. Solange das Oberste Gericht keine Entscheidung getroffen habe, bestehe immer noch die Möglichkeit, dass die Abbruchverfügung nicht so bald vollzogen werde. Man lebe dann zwar immer in großer Unsicherheit, aber immerhin bleibe einem das Haus noch eine Zeitlang erhalten. Entscheide das Oberste Gericht aber, dass die Abbruchverfügung rechtens sei, dann werde diese in der Regel nach kurzer Zeit vollzogen.
Der Bürgermeister betont, trotz allem lasse man sich nicht entmutigen. So sei man dabei, eigene Räume für einen Kindergarten und die Schule zu planen, so dass die Räume, die dann im Dorfgemeinschaftshaus frei würden, von den Frauen im Ort für ihre Aktivitäten genutzt werden können. Außerdem verhandele man mit dem Gesundheitsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde, um wöchentliche Sprechstunden eines Allgemeinarztes in den dafür vorhandenen Räumen im Dorfgemeinschaftshaus sicherzustellen.
Nach Aussagen unseres Gesprächspartners handelt es sich bei Izbat at Tabib um keinen Einzelfall. Im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet schwebten 135 Orte in der gleichen Gefahr, ausgelöscht zu werden.
Zu den Hauszerstörungen findet der Berichterstatter der Menschenrechtskommission John Dugard in seinem Bericht über die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 von Israel besetzten Gebieten deutliche Worte zu den Hauszerstörungen (Januar 2008, S. 17 f). Er weist darauf hin, dass Art. 53 der Vierten Genfer Konvention die Zerstörung persönlichen Eigentums untersagt ist (Ausnahmen sind allenfalls im Rahmen militärischer Operationen möglich). Dennoch sei die Zerstörung von Häusern ein ständiges Merkmal der israelischen Besetzungspolitik ("a regular feature of Israel`s occupation of the occupied Palestinian territory"). Obwohl das israelische Militär behaupte, es habe die Hauszerstörungen als Strafmaßnahme beendet, würden sie weiterhin vorgenommen. In der Zone C seien allein zwischen Mai 2005 und Mai 2007 354 Häuser von Palästinensern zerstört worden. Illegal errichtete Häuser in jüdischen Siedlungen würden nicht zerstört. Weiter führt der Berichterstatter aus, Hauszerstörungen würden häufig aus "administrativen" Gründen vorgenommen, d.h. mit der Begründung, es lägen keine Baugenehmigungen vor. Tatsächlich würden Häuser jedoch nicht im Rahmen ortsplanerischer Maßnahmen zerstört, sondern um die Macht der Besatzer über die Besetzten zu demonstrieren ("to demonstrate the power of the occupier over the occupied"). Darüber hinaus weist der Berichterstatter darauf hin, dass das Verfahren für die Genehmigung von Baugenehmigungen langwierig ist und in der Praxis den Palästinensern kaum Baugenehmigungen erteilt werden. (http://www.mfa.gov.il/MFA/Peace+Process/Guide+to+the+Peace+Process)
Erster Nachtrag:
Etwa eine Woche nach unserem Besuch in Izbat at Tabib ist der Ort am 12. Febr. von israelischen Soldaten besetzt worden. Der Bürgermeister berichtete, die israelischen Soldaten seien abends gegen 20 Uhr in den Ort gekommen. Er sei aufgefordert worden, alle Männer, die älter als 17 seien, auf dem Dorfplatz zu versammeln. Während die Männer dort gestanden hätten, seien alle Häuser von den Soldaten durchsucht worden. Nach mehr als einer Stunde habe der Anführer des Kommandos folgendes erklärt: Die Aktion sei durchgeführt worden, weil Autos auf der am Ortsrand vorbeiführenden Straße mit Steinen beworfen worden seien. Wenn das nicht aufhöre, käme man wieder "to catch the young people". Dann müssten sich auch die Frauen und Mädchen auf dem Dorfplatz versammeln, und zwar ganz gleich, ob am Tage oder in der Nacht. Und schließlich habe er gesagt, dann "we`ll demolish the village". Der Bürgermeister berichtete, er habe geantwortet, in seinem Ort gebe es niemanden, der Autos mit Steinen bewerfe. Im Übrigen sei es Aufgabe der Soldaten, die Steinewerfer zu finden. Gegen 22 Uhr hätten die Soldaten den Ort wieder verlassen.
Zweiter Nachtrag:
Einige Tage späer wurde der 13-jährige Sohn des Bürgermeisters von Izbat at Tabib von Soldaten verhaftet und der Polizei übergeben. Dort wurde er verhört (ohne Anwalt) und nach vier Stunden wieder freigelassen. Er berichtet, man habe ihn beschuldigt, Steine auf vorbeifahrende israelische Autos geworfen zu haben. Er habe das bestritten und uns gegenüber später bestätigt, dass der Vorwurf falsch ist. Die Polizei habe behauptet, sie sei im Besitz von Fotos, die ihn als Steinewerfer zeigten. Er habe gebeten, ihm die Fotos zu zeigen. Das sei abgelehnt worden. Ein Rechtsanwalt der israelischen Initiative B`tselem, der vom Vater des Jungen eingeschaltet worden war, hat die Freilassung erwirkt und zudem erreicht, dass keine Kaution zu zahlen ist (urspr. waren 1 000 shekel gefordert worden). Weitere Vernehmungen des Jungen sind zu erwarten.
Ich glaube nicht, dass ich das alles noch kommentieren muss.

Weitere Informationen zu Hauszerstörungen in den besetzten Gebieten findet ihr unter: http://www.icahd.org/en (Israeli Committee against House Demolitions)

I work for the Evangelische Missonswerk in Südwestdeutschland (EMS) as an Ecumenical Accompanier serving on the World Council of Churches` Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI). The views contained in this email are personal and do not necessarily reflect those of the Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland and the WCC. If you would like to publish the information contained here, or place it on a website, please first contact the Liaison Officer for the Middle East, Pastor Andreas Maurer, at the EMS, (Maurer@ems-online.org) or the EAPPI Communications& Advocacy Officer (eappi-co@jrol.com) for permission. Thank you.

Götz Schindler, Ecumenical Accompanier in Jayyous im Rahmen des EAPPI



 
 
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