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8. Bericht von Götz Schindler aus Israel

 
     
 

Bericht 8 aus Jayyous (24. März 2009)

"Wir wünschen Ihnen einen sicheren und angenehmen Übergang."

Im von Israel besetzten Westjordanland gibt es rund 600 "checkpoints". Dazu zählen mehr als 400 "einfache" Straßensperren (Straßen werden für Palästinenser gesperrt) und befristete Kontrollposten (in den letzten Jahren zwischen 70 und 140), sowie gegenwärtig 102 ständige "checkpoints", davon 36 zwischen Israel und dem besetzten Westjordanland. Die ständigen "checkpoints" bestehen in der Regel aus einem großen nicht überdachten Gelände, auf dem sich die Menschen anstellen, einem großen eingezäunten Gelände mit meistens nur einem Zugang (in der Regel eine Drehtür) und einem Abfertigungsgebäude, zu dem ein an beiden Seiten eingezäunter Gang führt.

Die "checkpoints" wurden von der israelischen Militärverwaltung eingerichtet, um die Bewegungen von Menschen und Waren innerhalb der besetzten Gebiete und zwischen den besetzten Gebieten und Israel zu kontrollieren. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung erheblich eingeschränkt. Besonders betroffen sind Kranke, die ein Krankenhaus erreichen müssen, und in großer Zahl palästinensische Arbeitskräfte, die in Israel erwerbstätig sind. Sie können ihre Arbeitsstelle nur durch einen der ständigen "checkpoints" erreichen. Dazu benötigen sie einen Passierschein ("permit") der israelischen Militärverwaltung, der befristet erteilt wird und über dessen Verlängerung nur nach erneuter Antragstellung entschieden wird. Beim Passieren des "checkpoints" werden neben dem Passierschein die ID-Karte und auf einem elektronischen Gerät der Handabdruck kontrolliert. Er wird mit dem Handabdruck verglichen, der bei Antragstellung für den Passierschein eingescannt wurde. Die Kontrollen werden von Soldaten, Grenzpolizisten und zunehmend von privaten Sicherheitsdiensten vorgenommen. Das Passieren des "checkpoints" ist für die Menschen zeitaufwendig, die Umstände sind menschenunwürdig, und es hat bereits Todesfälle gegeben, weil Schwerkranke ein Krankenhaus jenseits des "checkpoint" nicht rechtzeitig erreichen konnten.

Die großen "checkpoints" zwischen den besetzten Gebieten und Israel werden "Terminals" genannt. Dazu gehört auch das "Qalqilia North Terminal" an der "green line", an dem wir an jedem Donnerstag und Sonntag von 4 bis etwa 7 Uhr 30 morgens stehen. In dieser Zeit passieren sonntags zwischen 3000 und 3500 und donnerstags zwischen 2000 und 2800 Menschen den "Terminal". Unsere Aufgabe ist es vor allem, zu kontrollieren, dass der "Terminal" pünktlich geöffnet wird (und zu telefonieren, wenn das nicht der Fall ist), Verzögerungen bei der Abfertigung und Menschenrechtsverletzungen zu protokollieren und weiterzumelden und für die Menschen als Ansprechpartner für ihre Schwierigkeiten im "Terminal" da zu sein.

An diesem Donnerstag im März warten wieder mehrere hundert Menschen in einer langen Schlange vor der Drehtür, als wir gegen 4 Uhr morgens - es ist noch dunkel - am "Terminal" eintreffen. Auch dieses Mal wird er nicht pünktlich geöffnet - die zehn Minuten Verspätung heute sind noch wenig. Diejenigen, die im vorderen Teil der Schlange stehen, warten bereits seit 3 Uhr. Als die Drehtür geöffnet wird, zeigt sich wieder, dass der Durchlass für diejenigen, die mit einem Rucksack oder einer Reisetasche hindurch wollen, zu schmal ist. Immer wieder bleiben Männer mit ihrem Gepäck in der Drehtür stecken, vor allem, wenn die hinter ihnen Stehenden ungeduldig nachdrängen und schieben und wenn mehrere gleichzeitig in das Drehkreuz hineindrängen und sich gegenseitig blockieren. Dadurch kommt es zu den ersten Verzögerungen. Sonntags ist das noch schlimmer, wenn noch mehr Menschen mit Gepäck kommen, das sie benötigen, wenn sie für eine ganze Woche an ihren Arbeitsplatz fahren.

Zwischen Drehkreuz und Abfertigungsgebäude findet eine Sichtkontrolle des Gepäcks statt. Die Sol-datin, die hier tätig ist, sitzt erhöht und für die Menschen kaum sichtbar in einer Art Schalterhäuschen. Hin und wieder hört man sie über einen Lautsprecher eine Anweisung brüllen. Danach gehen die Men-schen durch einen ca. 70 Meter langen, eineinhalb Meter breiten eingezäunten Gang an der Außen-wand des Gebäudes zu den Abfertigungsschaltern im "Terminal". Vor allem die Überprüfung des Handabdrucks führt hier immer wieder zu Verzögerungen: Es gibt zu wenige Geräte (es sind höchstens vier in Betrieb), sie funktionieren nicht immer fehlerfrei. vor allem bei Handverletzungen (bei Bauarbeitern häufig der Fall) meldet das Gerät Nichtübereinstimmung und die Überprüfung muss wiederholt, an einem anderen Gerät vorgenommen werden, oder die Menschen werden abgewiesen. Aber auch die Überprüfung der ID-Karten und der Passierscheine führt zu Wartezeiten, da auch hier höchstens vier Schalter geöffnet sind. Das sind viel zu wenige für eine zügige Abfertigung - an diesem Donnerstag passieren von 4 bis 7 Uhr 30 rd. 3100 Menschen den "Terminal". Infolgedessen bildet sich immer wieder eine lange Warteschlange, die sich bis zum Gang außerhalb des Gebäudes erstreckt. Das führt an diesem Donnerstag dazu, dass das Drehkreuz sechs Mal bis zu zehn Minuten geschlossen wird, außerdem immer wieder für kürzere Zeit, bis sich die Warteschlange aufgelöst hat.

Insgesamt sind lange Warte- und Abfertigungszeiten die Folge. Wir haben mit Leuten gesprochen, die von der Drehtür bis zum Verlassen des Abfertigungsgebäudes eine Stunde und andere, die ein-schließlich der Wartezeit vor dem Drehkreuz zweieinhalb Stunden benötigt haben. Für viele ist das keine einmalige, sondern tägliche Erfahrung. Wenn die Drehtür immer wieder geschlossen wird, nehmen die Ungeduld und das Gedränge im käfigartigen Raum davor immer größere Ausmaße an - schließlich wollen alle einigermaßen pünktlich an ihren Arbeitsplatz gelangen. An diesem Donnerstag wie auch an den meisten anderen Tagen, an denen wir hier waren, führen die ständigen Verzögerungen dazu, dass sich die Warteschlange plötzlich auflöst und alle Wartenden von hinten zur Drehtür stürmen. Die Frustration über die lange Wartezeit, die Angst, wieder einmal zu spät zur Arbeit zu kommen, und die Wut darüber, dass wieder einmal Zeit für die Familie verlorengeht, wenn man die versäumte Zeit nacharbeiten muss, führen dazu, dass geschoben, gedrückt und gerempelt wird und einige versuchen, über die vorn Stehenden hinweg an die Drehtür zu gelangen - mit der Folge, dass die Drehtür immer wieder blockiert wird. Das Foto kann die Situation nur unvollständig wiedergeben.

Das gesamte Verfahren der Wartezeiten und der Abfertigung ist menschenverachtend und demütigend. Die "checkpoints" sind mit dem Argument der Sicherheit errichtet worden. Die israelische Menschenrechtsorganisation B`Tselem kommt zu einer anderen Einschätzung: "Sie (die "checkpoints") erschweren das Leben der Menschen unnötig. Sie gewähren keine Sicherheit für die israelische Bevölkerung, sie sind in Wahrheit ein Sicherheitsrisiko, weil die täglichen Demütigungen Verzweiflung und Hass erzeugen." Für den Berichterstatter an die UN-Menschenrechtskommission John Dugard sind die "checkpoints" ein eindeutiger Verstoß gegen die Menschenrechte.

Die israelischen Behörden sehen das anders. Auf der Hinweistafel am Zaun des "Terminal" heisst es: "Wir wünschen Ihnen einen sicheren und angenehmen Übergang. Gehen Sie in Frieden."

Fotos: Terminal Qalqilia North im März 2009

I work for the Evangelische Missonswerk in Südwestdeutschland (EMS) as an Ecumenical Accompanier serving on the World Council of Churches` Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel (EAPPI). The views contained in this email are personal and do not necessarily reflect those of the Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland and the WCC. If you would like to publish the information contained here, or place it on a website, please first contact the Liaison Officer for the Middle East, Pastor Andreas Maurer, at the EMS, (Maurer@ems-online.org) or the EAPPI Communications& Advocacy Officer (eappi-co@jrol.com) for permission. Thank you.

Götz Schindler, Ecumenical Accompanier in Jayyous im Rahmen des EAPPI




 
 
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